In meinem Vortrag werde ich Sprachideologien innerhalb der Linguistik qualitativ untersuchen und damit einen Beitrag zur im Call aufgeworfenen Methodendiskussion leisten. In einer 4-Text-Diskursanalyse (vgl. Fix 2015) arbeite ich die expliziten und impliziten Aussagen über Sprache heraus, in dem ich Präsuppositionen und Implikaturen analysiere. Grundlage dafür bildet die Fachdebatte über Frauensprache in den Linguistischen Berichten in den Jahren 1978 und 1979, in der Senta Trömel-Plötz (1978), Hartwig Kalverkämper (1979a und 1079b) und Luise F. Pusch (1979) kontrovers und polemisch darüber stritten, ob Geschlecht ein Thema der Linguistik sei.
Die Debatte über Sprache und Geschlecht wurde und wird in der deutschsprachigen germanistischen Linguistik besonders heftig geführt (vgl. Acke 2022). Erkenntnisse der internationalen linguistischen und interdisziplinären Forschung über Sprache und Geschlecht haben sich erstaunlich lange nicht durchgesetzt bzw. keine Rolle gespielt. Bis auf weiteres gibt es in der Germanistik keine Professur, die dem Thema gewidmet wäre. Meine These ist, dass einer der Gründe hierfür ist, dass die Erkenntnisse über das Thema einen sprachideologischen Wandel voraussetzen bzw. mit diesem einhergehen, der in der Germanistik nicht zeitgleich vollzogen wurde wie beispielsweise in der englischsprachigen und skandinavischen Linguistik.
Die Fachdebatte in den Linguistischen Berichten kann als deutschsprachige „Ur-Debatte" über das Thema Sprache und Geschlecht bezeichnet werden. Darin wurden die strukturalistischen und streng deskriptivistischen ideologischen Annahmen der zeitgenössischen germanistischen Linguistik in Frage gestellt. Interessanterweise begann diese Infragestellung jedoch nicht mit dem Eröffnungstext von Trömel-Plötz zum Thema Frauensprache. Trömel-Plötz argumentierte strukturalistisch und damit gewissermaßen „innerideologisch". Dennoch sah Kalverkämper seine strukturalistischen Grundannahmen durch Trömel-Plötz' Beitrag bedroht, setzte zu einer Verteidigung an und damit die Infragestellung in Gang. Erst in Puschs Reaktion auf Kalverkämper verschoben sich dann sprachideologische Annahmen von einer Fokussierung auf das Sprachsystem hin zu einer perspektivisch-pragmatischen Vorstellung von Sprache als Handlung und Gebrauch. Obwohl Trömel-Plötz und Pusch im Anschluss an die Debatte noch zwei Sonderhefte der Zeitschrift herausgaben, blieb das Thema in der Germanistik und der deutschsprachigen Linguistik insgesamt marginal und die beiden Forscherinnen wurden marginalisiert. Sprachideologisch waren sie der Linguistik ihrer Zeit zu weit voraus. Um die sprachideologischen Grundannahmen nicht zu gefährden, wurde ihre Forschung ignoriert und lächerlich gemacht.
Literatur
Acke, Hanna (2022): Widerspruch einlegen. Sprachhandlungen zum Ausdruck von Widerspruch in einer linguistischen Kontroverse. In: Julia Nintemann und Cornelia Stroh (Hg.): Über Widersprüche sprechen. Linguistische Beiträge zu Contradiction Studies. Springer VS, S. 1–39.
Fix, Ulla (2015): Die EIN-Text-Diskursanalyse. Unter welchen Umständen kann ein einzelner Text Gegenstand einer diskurslinguistischen Untersuchung sein? In: Heidrun Kämper und Ingo H. Warnke (Hg.): Diskurs – interdisziplinär. Zugänge, Gegenstände, Perspektiven. De Gruyter, S. 317–334.
Kalverkämper, Hartwig (1979a): Die Frauen und die Sprache. In: Linguistische Berichte 62, S. 55–71.
Kalverkämper, Hartwig (1979a): QUO VADIS LINGUISTICA? – Oder: Der feministische Mumpsismus in der Linguistik. In: Linguistische Berichte 63, S. 103–107.
Pusch, Luise F. (1979): Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, doch weiter kommt man ohne ihr. In: Linguistische Berichte 63, S. 84–102.
Trömel-Plötz, Senta (1978): Linguistik und Frauensprache. In: Linguistische Berichte 57, S. 49–68.