„Jetzt darf man ja gar nichts mehr sagen!“ Gesellschaftliche Sprachideologien und ihre Auswirkungen auf den Sprachgebrauch von Polizeibeamt:innen

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Abstract Summary

Public media reports attracted notice to racism and discrimination in the police force, especially in recent years. Headlines such as „Hinweise aus den eigenen Reihen: Polizisten melden Rassismusverdacht" (27.07.2021) or „Bund und Ländern liegen laut ‚Spiegel' etwa 400 Fälle von möglichem rechtsextremen, rassistischen oder antisemitischen Verhalten vor" (07.08.2020) shaped the media landscape and led to the question of how widespread right-wing extremism in the German Police Authority is. In the public debate there are certain ideas about how language should be used in the police force. At the same time, it is recognized that professional groups are also developing their own language habits. Members of the police become insecure by the increased public awareness of discriminatory language and the accumulating accusations of extremism against the police, especially those who do not have right-wing extremist tendencies. The highly suspicious dictum "What can one say anyway?" thus becomes a real question, where the project of the 'Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung' (University of Magdeburg) on racist and discriminatory language, financed by the 'Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt' is attached to and which we would like to present as part of the symposium 'Sprachideologien im Wandel' [SYMP68].

Submission ID :
AILA562
Submission Type
Argument :

Rassismus und Diskriminierung im Polizeiwesen sind vor allem in den letzten Jahren durch öffentlich-mediale Berichterstattungen in den Fokus gerückt worden. Schlagzeilen wie „Hinweise aus den eigenen Reihen: Polizisten melden Rassismusverdacht" (SZ, 27.07.2021) oder „Bund und Ländern liegen laut ‚Spiegel' etwa 400 Fälle von möglichem rechtsextremen, rassistischen oder antisemitischen Verhalten vor" (ZEIT, 07.08.2020) prägten die Medienlandschaft und führten zu der Frage, wie weit Rechtsextremismus in der deutschen Polizeibehörde verbreitet sei. 

In der öffentlichen Debatte herrschen bestimmte Vorstellungen, wie Sprachgebrauch in der Polizei zu sein hat, gleichwohl wird wahrgenommen, dass Berufsgruppen auch eigene Sprachgepflogenheiten entwickeln. Diese sind, da es sich um eine exekutive Staatsgewalt handelt, nicht mehr allein Angelegenheit der Berufsgruppe, sondern von öffentlichem Interesse. Aus dem wachsenden, öffentlichen Bewusstsein für diskriminierende Sprache, der damit einhergehenden Sensibilisierung und Häufung von Extremismusvorwürfen gegen die Polizei entsteht für die betroffenen Gruppenmitglieder – insbesondere für die Personen ohne rechtsradikale Tendenzen – Unsicherheit. Das geflügelte Wort „Was darf man denn überhaupt noch sagen" avanciert somit zu einer echten Frage. Einerseits verändern sich die gesellschaftlichen Sprachideologien, gleichzeitig müssen auch die Gruppenmitglieder auf diesen Diskurs reagieren und sich positionieren. An dieser Stelle setzt das vom ‚Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt' finanzierte Projekt der ‚Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung' an der Universität Magdeburg zu Rassistischer und diskriminierender Sprache an, welches wir im Rahmen des Symposiums ‚Sprachideologien im Wandel' vorstellen möchten. 

In diesem wissenschaftlichen Projekt mit anwendungsbezogenem Ansatz wird ein Workshop-Programm mit dem Ziel der Aufklärung über rassistische Sprache speziell für Polizeibeamte entwickelt. Das Projekt fußt auf der Untersuchung problemzentrierter Interviews mit Angehörigen der Polizeibehörde. Sie dienen „zur Sammlung und Rekonstruktion von Wissen über gesellschaftliche Problemlagen in der Perspektive der Interviewpartner*innen" (Witzel/Reiter 2021: 2). Die Auswertung dieser Daten steht im Mittelpunkt unseres Vortrags. 

Besonders relevant ist die Rollenzuschreibung der Interviewbeteiligten als Expert:innen: „Sie [die Interviewpartner:innen] liefern nicht nur ‚das Material' für Interpretationen, sondern können ‚ihre Problemsicht auch gegen die Forscherinterpretation und in den Fragen implizit enthaltenen Unterstellungen zur Geltung bringen' (Witzel 1982: 69)'" (Witzel/Reiter 2021: 2). Der aus der qualitativen Sozialforschung entlehnte Ansatz zur Beschaffung der Materialgrundlage wird durch die linguistische Analyse abgelöst. So werden Erfahrungsberichte und Situationsbeschreibungen deskriptiv nach der kognitiven Dimension, der affektiven Einstellung und der Intention (vgl. Hermanns 1995) untersucht. Die zuletzt genannte Ebene ist unerlässlich, wenn es um die Annäherung an eine Einordnung in intendierter vs. nicht-intendierter Rassismus geht. Die in den Erzählungen gewählten Begriffe und Äußerungen sind bedeutsam für das Denken und die Welterfassung der Sprachbenutzer:innen (vgl. Bachem 1979). Die qualitativen Befunde, die sich sowohl aus den Expert:innen-Interviews speisen als auch aus den Diskussionsergebnissen während der Workshops, bieten einen linguistisch beschreibbaren Einblick in eine Sprachgruppe und deren Sprachideologie.



Graumann, Carl-Friedrich/Wintermantel, Margret (2007): Diskriminierende Sprechakte. Ein funktionaler Ansatz. In Hannes Kuch, Sybille Krämer, Steffen K. Herrmann (Hrsg.): Verletzende Worte: Die Grammatik Sprachlicher Missachtung, S. 147-177.


Hermanns, Fritz (1995): Kognition, Emotion, Intention. Dimensionen lexikalischer Semantik. In: Gisela Harras (Hrsg.): Die Ordnung der Wörter. Kognitive und lexikalische Strukturen. S. 138-178.


Witzel, Andreas/Reiter, Herwig (2021): Das problemzentrierte Interview. SocArXiv.
 doi:10.31235/osf.io/uetq8 .



Wissenschaftliche Mitarbeiterin
,
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
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