Im Allgemeinen interessieren sich angewandte Linguist:innen für folk ideologies, also für (Sprach-) Ideologien linguistischer Lai:innen; ganz selten geht es um Ideologien von Linguist:innen, ebenso wenig um das gegenseitige Verhältnis, das zwischen Linguist:innen- und folk Ideologien gesehen werden kann. Ähnliches lässt sich im Übrigen auch für die attitudes- und die language awareness-Forschung feststellen – auch hier stehen folk beliefs im Zentrum, so als ob Linguisten a prioriattitude- und ideologiefrei wären. Hier interferiert möglicherweise die nach wie vor verbreitete Vorstellung von Ideologie als „falschem (in diesem Fall: nicht-wissenschaftlichem) Bewusstsein" (Kopp / Steinbach 2018, 181; Woolard 1998, 7).
Ich sehe in diesem Zusammenhang drei Forschungsanliegen für die angewandte Linguistik: Erstens sollten Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen all den Ansätzen, die sich mit „metasprachlichen" (inzwischen meist „metapragmatisch" genannten) Äußerungen, Einstellungen, Überzeugungen von Lai:innen und Linguist:innen befassen, näher untersucht werden – dabei ist nämlich anzunehmen, dass es sich bei der Attitude-, Language Awareness-, Language Ideology-Forschung und auch bei Folk Linguistics (vgl. Wilton / Stegu 2011; Stegu et al. 2018) zu einem beträchtlichen Teil gar nicht um unterschiedliche Forschungsinteressen und -objekte handelt, sondern feststellbare Unterschiede vor allem durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen research communitiesbedingt sind.
Zweitens: Wenn es eine Aufgabe Angewandter Linguistik ist, zwischen wissenschaftlichen und folk approaches zu vermitteln, müsste noch mehr über die Unterschiede zwischen diesen Ansätzen reflektiert werden (auch über die Grenzen einer solchen Unterscheidbarkeit) und gefragt werden, wo folk beliefs & ideologies als solche belassen werden können und wo sie hingegen durch angewandt-linguistische Expertise beeinflusst und modifiziert werden sollten.
Drittens: Zweifellos bedarf es ganz allgemein auch einer genaueren Auseinandersetzung mit (Nicht-nur-Sprach-) Ideologien von Linguist:innen, z. B. einerseits mit dem doch noch immer verbreiteten Ideologem, dass echte Wissenschaft ideologiefrei ist oder sein sollte, aber auch andererseits mit dem Faktum, dass sehr viele, vor allem kritische Linguist:innen sehr prononcierte ideologische Positionen vertreten – etwa im Bereich der Critical Discourse Analysis oder auch von Queer Linguistics (Stegu 2021), ohne dass die Rolle von stark und weniger stark ausgeprägten ideologischen Bestandteilen in der Angewandten Linguistik sehr oft aus einer grundsätzlichen, z. B. wissenschaftstheoretischen Perspektive diskutiert wird.
Hier handelt es sich um einen Beitrag, der vor allem Grundsatzfragen behandelt; zur Illustration sollen jedoch Beispiele aus den Bereichen genderfaire Sprache und Mehrsprachigkeit angeführt werden.
Bibliografie:
Kopp, Johannes / Steinbach, Anja (Hrsg.) 2018. Grundbegriffe der Soziologie. Wiesbaden: Springer.
Stegu, Martin. 2021. Queere Linguistik. Potenzial, Probleme, Grenzen. Muttersprache 131 (2), 159-71.
Stegu, Martin / Preston, Dennis R. / Finkbeiner, Claudia / Wilton, Antje. 2018. Panel discussion: language awareness vs. folk linguistics vs. applied linguistics. Language Awareness 27 (1-2), 186-196.
Stegu, Martin / Wilton, Antje 2011. Bringing the "folk" into applied linguistics: An introduction. AILA Review 24, 1-14.